Was sollte man zu diesem Film
wissen?
"Roter Drache" war das erste Buch mit Hannibal Lecter, welches der Feder
von Thomas Harris entsprungen ist. Danach erst kam "Das Schweigen der
Lämmer" und einige Zeit nach dessen Verfilmung dann auch der Roman "Hannibal",
der als Vorlage für den dritten Film diente.
Dieser erste Teil der Trilogie wurde bereits 1986 unter dem Titel "Manhunter"
verfilmt. Entgegen anderen Meinungen, fand ich diese erste Interpretation
von Harris? Buch recht ansprechend. Es war einfach eine ganz andere
Grundstimmung zu spüren, als in der Neuverfilmung von 2002. Der Film
war düsterer und nicht so spektakulär.
Was genau ist jetzt dran, am
"Roten Drachen" 2002?
Wer spielt mit?
-
Edward Norton als FBI Agent Will Graham - groß in "Fight Club" und "American
History X"
-
Harvey Keitel als Jack Crawford - bekannt aus "Das Piano", "Pulp Fiction"
oder auch "From Dusk till Dawn"
-
Ralph Fiennes als Francis Dolarhyde (der Rote Drache bzw. die Zahnfee)
- brillierte schon in "Der Englische Patient" und "Schindlers Liste"
-
Emily Watson als Reba McClane - leidenschaftlich und eindringlich in "Die
Asche meiner Mutter" und "Breaking the Waves"
-
Anthony Hopkins als Dr. Hannibal Lecter - kein Kommentar!
Was bewegt
den Kinobesucher?
Gerade vor dem Hintergrund dessen, was sich Ende 2002 in Deutschland abgespielt
hat und groß in den Medien zu registrieren war, ist das Thema Kannibalismus
sicherlich nicht ganz neutral zu betrachten. Zumal das Trademark "Hannibal
the Cannibal" gerade das ist, was die Leute reizt. Aber warum ist das
so?
Seltsamerweise spielt der Charakter Hannibal Lecter, außer in "Hannibal",
dem letzten Teil der Trilogie, nie wirklich die zentrale Rolle. In den
ersten beiden Teilen ist er eigentlich nur Randfigur und Mittel zum
Zweck um die Killer (Buffalo Bill, bzw. die Zahnfee), um die es dabei
tatsächlich geht, aufzuspüren.
Aufgrund der meisterhaften Darstellung von Anthony Hopkins und dem (eben)
scheinbar großen Interesse der Menschen am Thema Kannibalismus entstand
hier aber ein Kult, welcher die Worte "Hannibal" und "Kannibale" wohl
bei den Meisten Menschen als Assoziationen Nr. 1 und 2 bei der Erwähnung
des Namens Anthony Hopkins, bzw. der Nennung der drei Filmtitel auslöst.
Der Nebenplot im Roten Drachen ist der Fall von Hannibal Lecter vom angesehenen
Psychiater zur Menschenfressenden Bestie. So wie der Anfang des Films
in Szene gesetzt ist, bleibt einem der von Hopkins verkörperte Charakter
dennoch sympathisch, obwohl (oder gerade weil?) die einzige Verfehlung
seines Opfers darin bestand ein schlechter Musiker zu sein. Da sollte
man doch eigentlich schon wieder anfangen, sich Fragen über die Suggestionskraft
der Medien, bzw. den Hang zum Kranken und Gewalttätigen im Publikum
zu diskutieren. Aber das würde jetzt zu weit führen - außerdem haben
mir eben diese Szenen zu Anfang des Films auch recht gut gefallen ...
Was passiert?
FBI Agent Graham arbeitet mit Dr. Lecter zusammen um eine Reihe von ungeklärten
Verbrechen aufzuklären. Eines Abends sucht Graham den Psychiater auf
und teilt ihm mit, dass er der Meinung ist, dass es sich bei dem Gesuchten
um einen Kannibalen handeln könnte. Beim Stöbern in Lecters Büchern
kommt der Ermittler dahinter, dass Hannibal der von ihm gesuchte Mörder
ist und dass er seine Opfer teilweise seinen Freunden zum Dinner vorgesetzt
hat. Lecter versucht Graham zu erstechen. Dieser schafft es aber seinen
Widersacher anzuschießen, was ihm das Leben rettet.
Nach seiner Gesundung wird Hannibal in das Hochsicherheitsgefängnis gebracht,
dass man schon aus "Das Schweigen der Lämmer" kennt. Graham hingegen verkraftet seinen Beinahe-Tod nicht, quittiert den Dienst
beim FBI und zieht sich mit seiner Familie zurück. Einige Jahre danach meldet sich Grahams ehemaliger Chef, Jack Crawford,
und bittet ihn um Mithilfe bei der Klärung von zwei Mordfällen, bei
denen alle Mitglieder von zwei Familien starben. Graham kommt schnell
voran, kann aber nicht in die Bereiche vordringen, die ihn der Lösung
wirklich näher bringen würden. So entschließt er sich erneut Dr. Lecter
zu konsultieren. Der jedoch wird selbst von dem Killer kontaktiert.
Dieser Killer ist Francis Dolarhyde, der bei seinen Morden in seinem Geist
zu dem Idealwesen "Roter Drache" wird, von der Presse aber wegen des
Zurücklassens von Bissspuren an den Tatorten die Bezeichnung "Zahnfee"
bekommt.
So entwickelt sich ein Katz und Maus spiel:
Graham spricht mit Lecter um der Zahnfee auf die Spur zu kommen. Lecter
spielt sein eigenes Spiel mit Graham und Dolarhyde. Graham benutzt die
Presse um die Zahnfee zu provozieren. Als ob das alles noch nicht Dynamik genug in den Streifen bringen würde
rückt dann auch noch die blinde Reba Mc Clane in den Blickpunkt.
Sie ist eine Arbeitskollegin von Dolarhyde und fühlt sich von ihm angezogen.
Sie gibt ihm das Gefühl, gemocht und gebraucht zu werden. Ihre Blindheit
ist auch ein Grund dafür, warum er sie an sich heran lässt, denn Dolarhyde
ist missgestaltet (er hat einen sog. Wolfsrachen). Deswegen und aus
den damit zusammenhängenden Demütigungen und Misshandlungen durch seine
Großmutter, trug er aus seiner Kindheit schwere Störungen davon. Sein Fehlverhalten ist geprägt vom Streben nach dem Überwesen "Roter Drache",
zu dem er sich entwickeln will. Er trägt den Drachen als Tätowierung
auf dem Körper und begeht für ihn und durch ihn seine Morde.
Er möchte zum roten Drachen werden und seine - von ihm als schwach und hässlich
wahrgenommene - Hülle verlieren. Er ist besessen von dieser Idee und
registriert gar nicht, dass er durch seine Arbeit (er bearbeitet Filme)
und durch sein Krafttraining von anderen akzeptiert und geschätzt wird,
sowie zu einem auf Frauen anziehend wirkenden Mann geworden ist.
Hannibal Lecter ist ebenfalls ein Vorbild für Dolarhyde und er versucht
ihm zu gefallen um Bestätigung von ihm zu bekommen.
Reba Mc Clane verliebt sich in Dolarhyde und er sich in sie. Aber der Rote
Drache fordert weiteren Tribut ...
Was gibt mir dieser Film?
"Roter Drache" ist ein brillant in Szene gesetzter Thriller, der einen zu
jeder Zeit zu fesseln vermag und der durch Authentizität, exzellente
Schauspieler und einige Überraschungen zu glänzen weiß. Leider bleibt Harvey Keitel als Jack Crawford recht blass und bildet für
mich den einzigen Schwachpunkt des Films. Dafür brillieren Edward Norton und Emily Watson umso mehr. Besonders Watsons
Verkörperung der Reba McClane hat mich beeindruckt. Allerdings wird
selbst ihre Darstellung noch getoppt und zwar durch Ralph Fiennes. Seine
Leistung ist wieder einmal sensationell. Er lebt die schwer gestörte Seele von Francis Dolarhyde bis in die feinsten
Nuancen. Dieser Mann ist für mich genau wie Edward Norton, Daniel Day
Lewis oder der schon etwas in die Jahre gekommene Alan Arkin einer der
ganz Großen! Unspektakulär, traumwandlerisch sicher und authentisch
in der Anlage der verkörperten Rollen. Respekt.
Wer nach "Schindler's Liste" und "Der englische Patient" noch nicht von
Fiennes' Wandlungsfähigkeit und Talent überzeugt war, muss es jetzt
einfach sein.
Die Nebenrollen sind ebenfalls sehr gut besetzt. Mary-Louise Parker (erinnert
sich eigentlich noch jemand an "Grüne Tomaten"?) als Grahams Frau Molly
sowie Tyler Patrick Jones als sein Sohn Josh sind sehr überzeugend.
Besonders in der Schlusssequenz zeigt der kleine Tyler Patrick eine
sehr gute Leistung.
Viele sagen, "Das Schweigen der Lämmer" sei eine Klasse für sich. Dem würde
ich nicht zustimmen. Es war halt der erste Film (bzw. der zweite) -
das sich daraus eine Trilogie entwickeln würde, konnte damals noch keiner
ahnen.
Für mich ist "Roter Drache" die Nr. 1. Warum?
-
Hopkins spielt den Hannibal Lecter hier zum 3. Mal und hat die Darstellung
dieser Figur nun perfektioniert.
-
Die anderen Charaktere sind viel interessanter als in Jonathan Demme's Film
von 1991 - sowohl der Killer, als auch der FBI Agent. Ich liebe Jodie
Foster, aber Edward Norton sticht sie hier eindeutig aus!
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Die Bilder sind unheimlich kraftvoll und ausdrucksstark
-
Die Authentizität des Streifens ist bestechend - ich hatte zu jeder Sekunde
das Gefühl mich mitten in den 80ern zu befinden und das nicht, durch
irgendwelche plumpen Hinweise, wie sie in vielen Filmen gestreut werden,
sondern einfach durch die vielen kleinen Details (z. B. die Hemdkragen),
durch das Licht und auch durch die "normalen" Frisuren. In den 80ern
gab es nicht nur Modepunks und Popper, sondern auch die "normal" frisierten
Leute. Auch diese Haarschnitte waren damals etwas anders als heute.
Naja, aber wer jünger als 27 oder 28 ist, kann sich wahrscheinlich eh
nicht mehr erinnern ...
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Regiesseur Brett Ratner ist Jahrgang 1970 und fiel vor "Roter Drache" nur
im Martial Arts/ Comedy bzw. Musikvideo-Bereich auf. Ein solches Meisterwerk
hätte ich von ihm niemals erwartet - Hut ab! Allerdings wendet er sich
derzeit gerade wieder vom ernsthaften Fach ab. Seine nächsten Projekte
sind laut IMDB "Rush Hour 3" und die Neuverfilmung von "Superman"
Was bleibt festzuhalten?
Großes Kino, große Schauspieler, große Story.
Unbedingt ansehen!
12 Fette Punkte!
Stefan
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